Satire, Alltägliches und andere Absurditäten

 

Ich konsumiere, also bin ich

Mein Lieblingslebensmitteldiscounter ist der MAMA. Der heißt nicht tatsächlich so. MAMA ist eine Wortschöpfung, die mir eines Tages auf dem Weg zur Kasse in den Sinn kam. MAMA für MAndelaugenMArkt. Keine Sorge, ich werde jetzt nicht über einen Markt berichten, in dem Augen frisch geerntet, geräuchert oder in scharfe Sauce eingelegt geschnitten oder am Stück angeboten werden – und dann noch ein kleines Äugchen fürs Kind. Nein. Die Wortschöpfung ist meinem gelegentlich aufflammendem Interesse am anderen Geschlecht zu verdanken. In meinem Lieblingsmarkt besteht die Kundschaft seit jeher zu beinahe neunzig Prozent aus Mitbürgern mit Migrationshintergrund. Der weibliche Teil dieser Mitmenschen blickt größtenteils durch Augen in die Welt, die man Mandelaugen nennt. Sich diese mandeläugigen Schönheiten mit dunklem vollem Haar und exotischen rundlichen Gesichtszügen anzusehen, ist ein bisschen wie ein Abtauchen in die Märchen von Tausendundeinenacht. Und es lenkt hervorragend vom Anblick der hässlichen Lebensmittelaufbauten in den langen Gängen des Discounters ab. Dabei kann ich sogar mein schlechtes Gewissen vergessen, das mich überfällt, wenn ich an die fragwürdigen Einkaufspraktiken des Lebensmittelkonzerns denke, der MAMA betreibt. Zu meiner Verteidigung muss ich anmerken, ich gehe nur selten und hauptsächlich zum Augenschmaus in den MAMA. Und als vernünftiger Mensch kann man bei MAMA ohnehin nicht viel einkaufen. Waschmittel zum Beispiel sind zwar billig, riechen aber auch so. Zahnbürsten sehen nach zweimaliger Benutzung aus, als hätte man sie mutwillig auf die heiße Herdplatte gedrückt. Das Klopapier ist ungefähr so reißfest wie ein Schmetterlingsflügel. Was bei dessen Benutzung geschieht, will ich hier nicht näher ausführen. Obst und Gemüse sind von so weit her eingeflogen, dass unterwegs fast der komplette Geschmack verflogen ist. Tomaten sind da ganz schlimm. Die schmecken nicht viel anders als der Karton, in dem sie gelagert sind. Die Wurst verliert nur durch die spezielle Beleuchtung ihre mehlige Blässe. Das Fleisch ist in der Packung nicht viel mehr tot, als es während der gesetzlich genehmigten Massentierhaltung oder spätestens auf dem Transport war. Fertiggerichte sind entweder fad oder verwürzt. Wenn sie denn genießbar sind, dann kosten sie nicht weniger als im Lebensmittelmarkt mit den weniger fragwürdigen Einkaufspraktiken. Das einzige, was ich bei MAMA immer auf meinem Arm staple – als Single find ich einen Einkaufswagen mehr als unangemessen – sind die Edelmetallbären. Sie wissen sicher was ich meine. Markennamen werde ich hier nicht nennen. Eben diese Bären, die einem einen Fernsehabend so schön versüßen können, sind bei MAMA deutlich billiger. Und ich muss mich nicht mit einem schlechten Gewissen plagen. Denn ich weiß, dass der Inhaber des Süßkramkonzerns, der die Bären im Sortiment hat, in den Fünfzigerjahren gerade mal 50 Deutsche Mark für den Claim „macht Kinder froh“ bezahlt hat. Galt damals schon „Geiz ist geil!“? Solch ein Claim hätte, von einer korrekt abrechnenden Werbeagentur getextet, normalerweise einen ähnlichen Preis wie ein Mittelklassewagen erzielet. Da brauch ich mich also wirklich nicht krämen, dass die Packungen mit den Bären unter dem normalen Preis an MAMA abgegeben werden.

            Übrigens: Single sein ist denke ich nicht immer die bewusst und freiwillig gewählte Lebensweise. Die Möglichkeit, die kompletten Einkäufe auf dem Arm zu stapeln ist dennoch ein echter Vorteil. Vor allem bei MAMA. Jedes Mal, wenn ich mit angestrengtem Gesichtsausdruck meine zwanzig Packungen Bären und die Flasche Wein zwischen Arm und Kinn eingeklemmt zur Kasse transportiere, werde ich von diesen freundlichen Mitbürgern mit Migrationshintergrund gebeten, mich nicht einzureihen sondern nach vorne zu gehen. Weshalb ich die Abfertigung der zwei prall gefüllten Einkaufswagen pro Familie nicht abwarten muss. Somit kann ich meine Zeit schneller wieder anderen wichtigen Dingen des Lebens widmen. Zum Beispiel in meinen praktischen Lieblings-Baumarkt gehen, dessen Betreiber sich in keiner Weise mit höchst überflüssigen Service-Gedanken die Zeit vertreiben. Und auch die spärlich vertretenen Mitarbeiter werden offensichtlich nicht dazu angehalten. Wie dem auch sei, dort kann ich die neuesten Elektrowerkzeuge begutachten. Ich kann über Bohrmaschinen mit Satellitennavigation staunen und anschließend unter Zuhilfenahme des Laser_Abstandmessgerätes Dart Vader spielen. Oder ich kann mich beim Anblick von Sitzrasenmähern darüber amüsieren, dass es Leute gibt, die mit so einem Ding ihre Fünfzig-Quadratmeter-Wiese mähen. Oder mir vorstellen, wie die mit so einem Ding ihre Langflorteppiche im Wohnzimmer auf ein erträgliches Flormaß zurechtstutzen.

            Im Baumarkt kann man sich auch tolle Filme über weltliche Wunder ansehen, ohne Eintritt zu zahlen. Die handeln von Autopflegemitteln die ausschließlich durch deren Kauf dafür sorgen, dass Autos sich selbst reinigen und gleichzeitig alle Parkbeulen verschwinden. Andere Filmchen erklären, wie man selbst aus Pressspanplatten Möbel bauen kann, die benutzbar sind. Die fallen in den Filmen auch nicht in sich zusammen, wenn die verschoben werden. Andere Filme zeigen Bohrmaschinen, die dem ambitionierten Heimwerker möglich machen, ein Loch in einer Altbauwand genau an der Stelle zu erhalten, wo man es haben will. Eine wunderbare Zeit kann man vor diesen kleinen Bildschirmen verbringen. Mit Ton. Ist zwar nicht Dolby-Surround. Ist eher so ein Schepperklang, wie ihn die alten Plattenspieler mit dem Lautsprecher im Deckel hatten, zu deren Musik man das erste Mal geknutscht hat. Dafür kann man auch Kinder zum Wundergucken mitnehmen, die müssen ebenfalls nicht zahlen.

            In meinem Lieblingsbaumarkt kann man merkwürdigerweise palettenweise Pflastersteine kaufen. Weshalb, wissen nur die Götter. Die Achtundsechziger sind doch längst vorbei. Wirklich sinnvoll find ich persönlich die Schraubenabteilung. Und wenn ich am richtigen Tag Schrauben kaufe, die ich vielleicht irgendwann ein Mal brauchen kann, bekomme ich zwanzig Prozent drauf. Weil man Schrauben bekanntlich nicht an Tiere verfüttern kann – oder zumindest nicht sollte. Das mit den Schrauben hat übrigens nichts mit eigenen fragwürdigen Einkaufspraktiken zu tun. Nennen wir es doch lieber einen kleinen Spleen von mir. Zugegeben nicht so ganz klein, denn die Dinger füllen inzwischen zwei Regale Modell Billy von meinem Lieblingsmöbelmarkt mit dem Labyrinth. Ich meine das Labyrinth, aus dem man nur mit einem prall gefüllten Einkaufswagen entkommt. Zumindest wenn man weibliche Begleitung hat und den Schleichweg um die Wohnaccessoires-Abteilung nicht findet. Ich hab natürlich nicht die billigen Billies genommen. Es mussten schon die der gehobenen Klasse sein, mit Glastüren. Damit ich meine Beute immer unverstaubt im Blick haben kann. Mit denen war ich auch richtig lange sinnvoll mit Aufbauen beschäftigt. Und jetzt kann ich meine Großbildflachglotze aus dem esoterischen Markt mit den elektronischen Artikeln immer öfter ausgeschaltet lassen und Schrauben gucken.

            ...Wie ich drauf komme, dass der Markt esoterisch ist? Ist doch klar. Die haben sich nach einem weiblichen Medium benannt. Ist ja auch gut so. Da gibt einem das Gefühl, dass man beim Elektronik Schnuppern gleich noch was für die Seele bekommt. Merken tut man das nicht, aber so ist es eben mit der Esoterik, bisschen wie mit der Elektronik. Da sieht man einfach nicht rein. Man muss es halt glauben. Macht ja nix. Glauben hat eine lange Tradition. Und das können wir alle noch, zumindest wenn es uns grad nicht so toll geht. Und wenn es mit dem Glauben doch nicht richtig funktioniert, dann kann man anstatt nur zu schnuppern ein paar Geräte mit nach Hause nehmen. Abgesehen davon, dass diese Wunder der Elektronik fast alles können und somit selbst recht unterhaltsam sind, kann man sich noch einen lustigen Abend mit den grottenschlecht übersetzten Betriebsanleitungen machen. Und wenn einen das noch nicht aufheitert, kann man Mandelaugen gucken gehen.

            Oder man kann sich im Lebensmittelmarkt auf die Lauer legen. Nicht in irgendeinem. Es muss schon der mit dem Slogan sein „Wir lieben Lebensmittel“. Ich habe es schon oft versucht, gelungen ist es mir noch nicht. Ich meine, die Angestellten dabei zu ertappen, wie sie von Regal zu Regal gehen und ihre heiß geliebten Lebensmittel streicheln und Gute-Nacht-Geschichten erzählen. Vielleicht war ich immer zu früh da und sollte mich irgendwann einschließen lassen. Kann ja sein, dass die das nur machen, wenn keine Kunden mehr da sind. Ich werde dran bleiben. Ein Ort, an dem es ebenfalls lohnend sein kann, sich auf die Lauer zu legen, sind große Einkaufszentren. Dort hat man die Chance, jemanden hautnah beim Koma-Kaufen zu beobachten. Das gibt es wirklich. Neulich habe ich beobachtet, wie ein bewusstloser Kunde auf einer Bahre in einen Notarztwagen getragen wurde. Ein Pfleger ging noch drei Mal zurück, um anschließend Berge von Einkaufstüten im Fahrzeug zu verstauen. War wahrscheinlich notwendig. Um dem Patienten im Krankenhaus die Tüten auszupumpen.

            Ich liebe all diese Shopping-Paradiese. Das sind echte Erlebnismitnahmemärkte. Ich bekomme dort wirklich alles was ich brauche. Und die sind auch fast alle in Industriegebieten und nicht in meinem Wohngebiet. So dass ich normalerweise keinem Menschen begegne, mit dem ich mich auseinandersetzen muss. Keiner spricht mich an, ich bin Mister X. Macht nix, denn ich hab ja genug Unterhaltung. Und auch keine Kassiererin und kein Kassierer haben mich jemals darauf angesprochen, wenn ich beim Bezahlen mit der Bankkarte den Beleg nur mit einem X unterschrieben habe. Lieber Mister X als gar nix!

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